Zündhölzer

Ich bin genervt von den Medien. Nicht Lügenpresse genervt, nicht genervt, weil es in den letzten Monaten um oft nur Corona ging. Ich bin genervt, weil ich das Gefühl habe, dass jeder Impfdurchbruch irgendeines drittklassigen Promis in der Zeitung steht, Artikel über wirklich seltene Todesfolgen durch Impfungen Gehör finden. Es ist per se gesehen nicht falsch darüber zu berichten, jedoch sind die über 100.000 an Corona gestorbenen hinter einer anonymen Zahl verschwunden mit der Kennzeichnung: Vorerkrankung. Hingegen bekommt die andere Seite ein Gesicht aus Einzelschicksälen. Was an sich kein Problem wäre, wenn diese Berichterstattung nicht Zündhölzer in den Händen der Spalter der Gesellschaft wären.

Ein vor kurzem erschienener Artikel in der Berliner Zeitung, geschrieben von einer Ungeimpften, die sich jetzt theatralisch zu den Bösen zählt, brachte mich auf den Gedanken zu diesem Eintrag. Ich verlinke den angesprochenen Artikel bewußt nicht, weil ich nicht möchte, dass er noch mehr klicks bekommt.

Ich denke, es sollte jedem selbst überlassen sein, ob er sich impfen lässt oder nicht. Je weniger Menschen sich impfen lassen, desto länger werden Maßnahmen dauern. Das sollte jedem klar sein. Ich kann es verstehen, dass es manchen Menschen schwerer fällt Vertrauen in die Evidenz und Wichtigkeit dieser Impfung zu sehen. Auch, wenn diese Menschen zu einer der Generation gehört, die den meisten Nutzen aus Impfungen generell haben. Die meisten von uns sind ohne Polio, Wundstarrkrampf oder Keuchhusten aufgewachsen, aber mit den Impfungen gegen diese Krankheiten. Manche von uns sind sogar in einem Staat geboren, in der es eine Impfpflicht gab und deren Bevölkerung trotzdem nicht zu hirnlosen Zombies oder gar unfruchtbar geworden ist- auch wenn man das, mit Hinblick auf Konversationen in Telegramgruppen, bezweifeln möchte.

Aber egal, ob man sich impfen lassen möchte oder nicht sollte jeder selbst entscheiden und sich auch der Konsequenzen bewusst sein:

Weniger Impfungen: Maßnahmen dauern länger, man hat ein höheres Risiko an Covid schwerer zu erkranken, man kann für eine Zeit nicht mehr an manchen sozialen Aktivitäten teilnehmen.

Was aber extrem nervt ist das Einnehmen einer gewissen Opferrolle: ich darf nicht mehr, ich werde jetzt als Böse tituliert, alle Leute hassen mich.

Wenn die Ungeimpften angeblich gehasst werden, dann müssten ja alle erkennen, dass diese Leute ungeimpft sind. Woran soll man sie also erkennen? Ich denke, man kann sie gut an ihren Schildern auf Querdenker Demos erkennen. Wenn sie ohne Maske und Luftherzchen zeichnend in den Öffentlichen Nahverkehr steigen wollen, Fackeltragend vor Wohnorten von Politikern stehen und einschüchtern wollen, mit Neonazis „Spazieren“ gehen und „Ein Tag so wunderschön wie heute“ singen. Aber auch hier steht nicht der Impfstatus im Vordergrund, weil man möchte nicht ausschließen, dass nicht etwa auch Geimpfte unter den Protestlern sind, sondern die unsolidarische und unmoralische Einstellung.

Unsolidarisch, weil man verlangt als Mensch behandelt zu werden und seine Freiheit auszuleben, es jedoch total legitim findet, dass doch bitte die sogenannten Risikogruppen sich bitte selber schützen. Denn so sind meist die Menschen, die die meiste Soldarität von anderen verlangen, aber selbst keine für andere haben.

Wo kämen wir denn dahin, wenn auf einmal die Rollstuhlfahrer auf die Straße gehen würden, oder die Krebspatienten, oder die Menschen mit Depressionen oder geistiger Behinderung, Menschen die auf eine Unterleibs-OP warten, damit das schmerzende Myom entfernt wird, Transmenschen, die auf ihre lang ersehnte OP noch ein Jahr länger warten müssen demonstrieren würden, dass doch bitte die Querdenker zu Hause bleiben sollen, wegen Gesundheitssystem und so. Sowas – das wäre ja voll unsolidarisch. Danach würde das Argument, auch vor der Pandemie war das Gesundheitssystem überlastet kommen. Ja, das war es, aber man muss es ja nicht schlimmer machen, als es ist. Sollte jetzt wider ein Attentat oder Umweltkatastrophe in den Regionen mit hoher Krankenhausauslastung kommen, was wäre dann?

Von Solidarität keine Spur, außer es geht um Solidarität für sie und Kaffee umsonst bei Waffelläden.

Des Weiteren fällt es mir schwer für eine von Personen selbst gewählte Position Mitleid aufzubringen. Okay, man möchte sich nicht impfen lassen, aber dann lebe für eine Zeit mit den Konsequenzen. Diese Maßnahmen werden nicht den Rest des Lebens dauern, sondern nur die Zeit der Hochphase der Pandemie. Wenn du daran etwas ändern willst, dann lass dich impfen. Wenn du willst. Wenn nicht, dann warte. Auch okay.

Mir tun eher die Menschen leid, die nichts an ihrer Situation ändern können und eben auf ihre Behandlung warten. Und das halt auch für dich.

De Freiheit des einen ist immer die Unfreiheit eines anderen.

PS: Ich bin selbst geimpft und bleibe auch zu Hause, weil ich weiß, dass man sich trotzdem anstecken kann und eventuell einen schweren Verlauf haben kann. Nicht muss. In zwei Jahren wird alles wieder anders aussehen und Maßnahmen nicht mehr nötig sein. Vielleicht auch in einem Jahr, vielleicht in drei. Hängt halt davon ab, wie wir uns verhalten.

2 Gedanken zu „Zündhölzer

  1. Dem Beitrag kann ich nur zustimmen. Ich finde es merkwürdig, dass z.B. die Zahl der demonstrierenden Impfgegner in den Medien herausposaunt, aber die gleichzeitig bestehende Zahl derjenigen, die sich gerade impfen lassen, nicht erwähnt wird. Dann wäre nämlich durch diesen Vergleich klar, die „Gegner“ sind eine verschwindend kleine Gruppe. Allerdings macht mir die Zahl der Gewaltbereiten Sorgen. Was soll das eigentlich? Was soll dieses dumme Geschwafel vom Untergang der Demokratie? Die Impfgegner sind sicherlich eine amorphe Masse, Ängstliche, Besserwisser, Verschwörungstheoretiker, Krawallbrüder und- schwester. Eine große Gruppe wird man durch kein Argument der Welt erreichen. Bei anderen hilft vielleicht Aufklärung. Ich verstehe einfach nicht, was bei intelligenten Menschen, die Statistiken und Studien lesen und verstehen können, innerlich abläuft. Halten die sich für schlauer, kompetenter, informierter als eine sehr große Gruppe an Fachleuten (Immunologen, Epidemiologen, Mikrobiologen, Fachärztinnen)? Sind die Portugiesen, Spanier, Dänen und BürgerInnen anderer Länder, die sich in großer Zahl impfen lassen, alle im Vergleich zu den superklugen Sachsen und anderen Deutschen ein bisschen doof, müssen sich von den besserwisserischen Deutschen mal aufklären lassen. Oh je, am deutschen Wesen soll die Welt wohl genesen. Das ganze ist ein Trauerspiel.
    Im übrigen halte ich das politische Handeln im Fall von Corona für absolut kritikwürdig. Das Chaos, die bürokratischen Bocksprünge, die miese Kommunikation, die Handlungsunfähigkeit sind eine Katastrophe.

    • Hallo mein Lieber, vielen Dank für den wunderbaren Kommentar. Ich habe es leider bis jetzt nicht geschafft deine Email zu beantworten. Tut mir leid.
      Bei Arte gibt es gerade eine sehr gute Dokumentation über Impfgegner und wer davon profitiert: https://www.youtube.com/watch?v=cfzWGypZ1OM

      Schaut man sich die Ideologie vom gesunden Körper, gesunder Geist genauer an, so geht das zurück auf Anthroposophie von Rudolf Steiner, die dann sehr schnell Hand in Hand geht mit Nationalsozialismus. Der scheint ja – obwohl nur 12 Jahre dauernd – immer noch prägender zu sein im deutschsprachigem Verständnis als z.B. die Kaiserzeit – in der es übrigens eine Impfpflicht gab.
      Aber behalten wir einmal im Hinterkopf, dass man pendelschwingend ziemlich rechts sein kann.

      Hinzukommt eine schon seit Jahren zu beobachtende Unterwanderung sämtlicher Demonstrationsbewegungen von rechts. Angefangen mit den Montagsdemonstrationen gegen rechts. Was neu dazu kommt und einem Nepper, Schlepper, Bauernfängertum anmutet ist die Umschreibung der Geschichte.
      So wird der Begriff Neonazi oder Rechter gutgeschrieben, weil die Greultaten ja von NationalSOZIALISTEN begangen wurden – ergo von Sozialisten, also von Linken. Und die Linksgrünversifften sind ja heutzutage Schuld an diesem Dilemma (was größtenteils daraus besteht, dass man auf der Couch sitzt und in seinem Konsum auf das Internet beschränkt ist).
      Dass man also mit Rechten mitläuft im wahrsten Sinne des Wortes wird noch mehr legitimiert wenn man Sprechchöre aus Zeiten der Auflösung der DDR aufsagt. „Wir sind das Volk“ hat aber auch schon PEGIDA skandiert. Auch hier wieder der eindeutige Ruck nach Rechts.
      Nun kommt hinzu, dass sich einige arme Seelen plötzlich im Widerstand sehen und sich wie Sophie Scholl oder Anne Frank fühlen. Das Wort Widerstand was sonst feierlich für die wenigen Stand, die sich gegen die Diktatur des Dritten Reichs gestellt haben und mit dem Tode bezahlt haben. Also die Jenigen wenige, die uns im Völkervermächtnis Reputation geben, dass nicht alle Deutschen Mörder waren. Genauso geht es mit den Worten Friede und Freiheit. Ich möchte sagen, dass man nach der Pandemie die Worte Widerstand, Friede und Freiheit nur mehr zögerlich aussprechen wird und sie einen schwierigen Nachgeschmack bekommen werden.

      Paart man das noch mit Sektengleichen Strukturen scheint es einfach zu sein Menschen für dumme Sachen zu begeistern und mit Verlaub ist es ziemlich dumm sich in einer Pandemie nicht impfen zu lassen, wenn man ein Mittel gegen eine Krankheit hat, die den Verlauf zumindest vereinfachen kann. Aber nun ja. Das es eine Anti-Impfbewegung gibt ist ja schon seit längerem zu beobachten.
      Vielleicht liegt es auch daran, dass jetzt eine Generation Eltern geworden ist die antiautoritär und als Spektakel bzw. kleines Wunder erzogen wurde und daher ziemlich auf sich besonnen ist. Denen es schwer fällt etwas für die Mitmenschen zu tun, weil man doch den Gebrauch von Ellenbogen gewohnt ist? Nur ein Theorie, dass die nun ein trotziges: mit mir und meinen Kindern nicht herrufen.
      Aber zurück zu der Sektenbewegung Querdenken:
      Durch eigene Kommunikationsmöglichkeiten in den Sozialen Netzen prasseln auf Gutgläubige im Sekundentakt neue Fakenews ein. Sie werden quasi bombardiert und das kommt schon einem brainwashing gleich. Irgendwann bewegt man sich nur noch in der Bubble, weil die ANDEREN nicht mehr mit einem sprechen möchten. Eine Kommunikation mit anderen Meinungen ist nicht möglich. Was natürlich auch immer bemängelt wird: niemand würde mit ihnen im Dialog stehen, nirgends findet eine Aufklärung statt, es gäbe keine Fakten.
      Verweist man auf die bekannten Quellen, dann wird gesagt, das lese man nicht mehr. Das seien Lügen – tja, nun finde den Fehler.
      Aber zu jeder guten Sekte mit artgerechtem Verhalten gehört zum Abbrechen aller Kontakte und Brainwashing auch noch jemanden der einem das Geld auf der Tasche zieht. Aber das hat Jan Böhmermann so schön zusammengefasst:

      Ich könnte jetzt noch stundenlang schreiben…und vielleicht gleich aus dem Kommentar einen Artikel machen…mal sehen. Aber jetzt noch schnell zu Ende arbeiten am letzten Arbeitstag dieses Jahres.
      Bis hoffentlich bald! Frohe Feiertage und einen guten Rutsch.

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