Entliebt in Berlin – Teil 1

Vielleicht sind noch ein paar Leser hier von früher. Ich weiß es nicht. Vor ein paar Jahren wurde dieser Blog noch regelmäßig gefüllt. Und dann hörte es irgendwann auf. Zum einen, weil ich mich auf den Bühnen der Stadt rumgetrieben hab, wie einst Sally Bowles. Und meine ganze Kreativität in Kostüme und Auftritte gesteckt habe. Zum anderen, weil ich sehr viel gearbeitet habe. Und leider auch -besonders in den letzten Jahren – ich mich von Berlin doch etwas entliebt habe.

Jede innige Beziehung bekommt irgendwann Risse, wenn sich der eine so extrem ändert. Berlin war für mich immer Zuhause, Heimat, Familiengeschichte. Hier konnte ich auf den Wegen meiner Vorfahren wandeln. Im KaDeWe schuchteln, in Opas Schrebergarten schaukeln, bei Rogacki Fisch essen. War doch meine Familie schon seit mehr als 150 Jaren Berliner Pflanzen. Mit allem was dazugehörte, egal ob Eckkneipe oder Mauerflüchtling.

Doch seit ein paar Jahren geht mir Berlin fremd und hat sich einen neuen Anstrich verpasst. Ich fühl mich nicht mehr so frei in der Stadt. Stattdessen hat sich einiges geändert und nicht zum Besseren. Und darüber möchte ich in dieser Serie schreiben.

Als ich 2004 entgültig im meine jetzige Wohnung zog, da war noch nichts von arm aber sexy Berlin zu hören. Sagte man damals einem Mannheimer oder Bremer man käme aus Berlin, ja dann wurde einem konduliert. Niemand wollte hier her, ausser die üblichen Misfits, die diese Stadt so lebenswert machten. Es standen damals 10.000 Wohnungen leer und es genügte eine Besichtigung und ein Handschlag und schon hatte man eine Wohnung.

Heute lebt man mit der perfiden Angst im Nacken, keine Wohnung mehr zu finden, wenn man seine jetzige verlassen muss. Der Mietendeckel hat es nicht besser gemacht und auch dessen Aufhebung nicht. Läuft man durch die Straßen und wirft immer mal wieder blicke auf die Klingelschilder so fällt auf, dass viele keinen Namen tragen. Läßt man seinen Blick aufmerksam schweifen fallen einem versteckt die vielen Zahlenschlößer auf. Hier wohnt keiner mehr – hier wird nur noch gelifestylt.

Durch Wowereits Deklarierung Berlin sei arm, aber sexy hat die Stadt einen absoluten Boost erfahren. Plötzlich war Berlin (tra)chic, hip, angesagt und gar nicht mehr so proviziell. Zuerst kamen die wirklich Kreativen hierher, der viel für die Stadt getan haben. Aber seit gut 5 Jahren kommt nur noch Kreti und Pleti, wie der Berliner sage würde. Air B’n B ist die größte Pest der Stadt.

Besonders die Lifestyle Hipster, vorallem Western Expats die keine Ahnung von der Stadt haben und herkommen wegen Berghain und nicht um ein Leben hier zu starten. Berlin lebte schon immer von Zugezogenen. Keine Frage. Jedoch kamen diese damals um zu bleiben. Jeder brachte einen Teil seiner Identität mit und so besteht der Berliner Dialekt und auch seine Küche aus einem Babylon der Einflüsse.

Das Problem jedoch an der jetzigen Hipster Getrifizierung – die im Gepäck eine Bucketlist und Instragram Account haben- ist, dass es sehr schädlich ist, dass Menschen für wenige Jahre herkommen, egal welchen Preis für ein Zimmer oder Wohnung bezahlen, im Niedriglohnsektor arbeiten, aber ein finanzielles Polster von den Eltern haben. Living Poverty! Hey seht her, ich habe mein Bett aus Paletten gebaut, trinke Matcha mit Hafermilch und arbeite als Rider bei Gorillas.

Voreiniger Zeit wurde sogar eine Badewanne für 400 € in einer WG angeboten. Mit dem Disclaimer: die anderen Mitbewohner helfen dir beim Aufstehen, wenn sie früh auf Klo müssen. Super für die Tagesstruktur.

Das ist bestimmt super fun für eine Zeit. Aber für Menschen, die diese Stadt tatsächlich am Laufen halten müssen eine absolute Katastrophe. Der Wohnungsmarkt ist quasi leer gefegt. Vereinzelnt werden noch Wohnungen mit WBS angeboten, die ich mir leisten könnte. Ich würde aber keinen WBS bekommen, weil ich zu viel verdiene. Nach obenhin ist natürlich alles offen. Auch für die vielen Flüchtlinge in der Stadt ist es quasi unmöglich aus den Flüchtlingsheimen auszuziehen. Der Berliner Wohnungsmarkt ist kaputt.

In meinem weiteren Bekanntenkreis hat sich langsam rumgesprochen, dass ich meine Wohnung verlassen möchte und von ewig Verschollenen bekomme ich plötzlich Anfragen zur Nachmiete.

Es tut weh, mein geliebtes Berlin so zu sehen.

Ein Gedanke zu „Entliebt in Berlin – Teil 1

  1. Sehr schön geschrieben, Spreemieze, jede/r macht eigene Erfahrungen. An manchen Stellen gibt es Übereinstimmungen.
    Ich liebe Berlin, ich hasse Berlin. Berlin war nie meine Heimat, obwohl ich hier schon deutlich länger lebe als in meiner Heimatstadt Soest. Soest liebe ich auch, hasse ich auch. Kleinstadtmief, jeder kennt jeden. Nervig sowas. Als ich nach Berlin kam, hatte ich ein Grundgefühl – Freiheit. Niemand interessiert sich für einen, das ist großartig. Das war 1966. Ja, ich bin alt, äh älter, oder so. Ja, ich bin mitgelaufen bei den legendären Demos der 68iger Zeit. Das hat mich durchaus geprägt, Widerstand, Aufruhr, dagegen sein, gegen die verspießerte Klein- und Großbürgerwelt, gegen „Betreten des Rasen verboten“, gegen Kleiderordnung in der Philharmonie. Meine erste Unterkunft war bei einer alten Dame in Lankwitz: alles wie im Klischees mit einem knarrenden Holzbett und riesigem Plumeau, kein Damenbesuch (ich war sowieso viel zu verklemmt und schüchtern), dann gelebt mit nem Kumpel in einer Einzimmerwohnung in Schöneberg mit Außenklo, kostete 49 DM Miete, Wasserstelle in der Küche, Baden/Duschen im Stadtbad Schöneberg, usw usw. Alles Geschichte. Erfahrungen, Erlebnisse, die mich mit der Stadt verbunden haben. Ich habe in Wilmersdorf, Charlottenburg, Moabit, Stralau und jetzt Lübars gelebt. Natürlich habe ich mittlerweile die Änderungen in der Stadt mitbekommen, vor allem dieser Scheiß mit dem Wohnungsmarkt, Immobilienarschlöcher usw. Eine völlig verfehlte Wohnungspolitik seit Jahrzehnten, ein Skandal nach dem Nächsten (120 Millionen Mark Steuergeld in den 80igern versenkt im Bauskandal Garski, der umtriebige Typ wollte in Saudi Arabien bauen). Ich will jetzt nicht vom BER anfangen und der kompletten Unfähigkeit einer Berliner Verwaltung in allen nur denkbaren Bereichen (vom Verkehr bis Schule bis Gesundheit), eine aufgeplusterte, arrogante Bürokratie, die fett und gemästet von Steuergeldern über der Stadt thront. Zum Haare raufen. Und dennoch liebe ich Berlin, liebe auch das Chaos, das irgendwie zu dieser Stadt gehört. Es gibt hier einen Filz, den wird niemand „reparieren“. Lifestylehipster kenne ich nicht, gehören nicht zu meinem Lebensumfeld, genauso wenig wie InfluencerInnen, öde Welt.
    Aber wenn ich im Frühling von meiner Arbeit an der Spree entlang zur Friedrichstraße radle und die Pärchen hocken am Uferrand, und wenn da mehrere Paare zum Sound eines Ghettoblasters auf dem Uferweg Tango tanzen, und wenn in der S Bahn mich jemand anlabert, ob er für mich ein Gedicht schreiben und vortragen soll, und und und, dann liebe ich diese Stadt, ich liebe diese Berliner, die beim ersten Sonnenstrahl vor ihre Kneipe Stühle stellen, weil nichts ist so grauenvoll wie Berlin im Grau eines November, puh, da braucht man Kraft zum durchhalten.
    Jetzt lebe ich in Lübars, bin offenbar wieder in einer spießigen Kleinstadt gelandet. Aber es gibt ja die S Bahn (wenn sie funktioniert), in 20 Min bin ich in der Friedrichstraße. Kleine Fluchten.

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